christoph huber

horrortunnel am masik-pass

mittwoch, 11. september 2013

 

Dank eines Kissens, auf dem mein Körper lag – zum Glück hatte mein Einzelzimmer zwei Betten –, war die Nacht in Zimmer 1008 deutlich besser als befürchtet. Allerdings auch mal wieder viel zu kurz, denn schon um 6.30 Uhr wurden wir geweckt. Um 8 Uhr ging die Reise wieder weiter, zunächst noch durch Ausläufer des Diamantgebirges. Dort besuchten wir bei leichtem Regen einen malerisch gelegenen See. Generell muss ich sagen, dass Nordkorea landschaftlich einiges zu bieten hatte. Traumhafte und größtenteils menschenleere Strände, mittelgebirgsartige Gegenden und weite Ebenen, in denen in leuchtendem Gelb der Reis wuchs. Wer also immer behauptet, in Nordkorea gäbe es doch nichts, der war noch nie in diesem Land.
   Nach der Seeschau fuhren wir auf demselben Weg wie am Vortag zurück nach Pyongyang. Erneut passierten wir mehrere abenteuerliche Verkehrsteilnehmer wie z.B. Ochsenkarren oder völlig überladene Pickups. Und fast alle, die am Vorabend bzw. in der Nacht zuvor an der Bar waren, lagen müde in ihren Sitzen und versuchten so gut es auf diesen Buckelpisten ging, den versäumten Schlaf nachzuholen. Nur Frau Nebel, eine redselige ältere Frau mit Gehbehinderung, sagte ständig, wie schön es hier sei und sie gar nicht verstehen könne, wie manche jetzt einfach schlafen. Aus ihrer Sicht – sie ging unmittelbar nach dem Abendessen auf ihr Zimmer – absolut verständlich. Nur wir hatten in dieser Nacht vielleicht fünf Stunden Schlaf und auch die Nächte zuvor waren für die meisten nicht viel länger.
   Das braune Brüderpaar ruhte ebenfalls nicht, stattdessen spielten die beiden auf ihren iPhones herum. Einer spielte ständig „Mensch ärgere dich nicht“, der andere eine Art „Pac-Man“. Spätestens als ich das sah und mit dem gezeigten Gruß bei der Parade im Hinterkopf, wusste ich, dass diese beiden nicht mit besonders viel Intellekt gesegnet waren.
   Vor dem leckeren Mittagessen in Wonsan in der gleichen Lokalität wie am Vortag, betraten wir eine wenige Schritte davon entfernte Gemäldegalerie, die zum Teil recht schöne Kunstwerke zu bieten hatte. Normale Stillleben waren dabei, aber auch Propagandamaterial, wie man es sich vorstellt.
   Nach der Nahrungsaufnahme hatten wir bis zur Busabfahrt ausgiebig Zeit, um vor dem Restaurant die heimische Bevölkerung abzulichten bzw. skurrile Szenen zu beobachten. So wurden manche Koreaner daran gehindert, in unsere Nähe zu gehen. Stattdessen wurden sie aufgefordert, umzukehren. Mindestens ein Nordkoreaner fuhr auf dem Fahrrad mehrmals an uns vorbei. Natürlich kann das alles Zufall sein, betrachtet man aber noch das nächste Beispiel, dann kann zumindest ich nicht mehr an Zufall glauben. Führt man sich zudem vor Augen, dass unser Kim wenige Minuten vor jedem (!) Besuch einer Sehenswürdigkeit telefonierte, dann ist es endgültig vorbei mit dem guten Glauben. Kündigte Kim unsere Ankunft an? Sorgte er dafür, dass alle an ihrem Platz waren? Man müsste koreanisch können und sich einfach in seine Nähe setzen, um mitzubekommen, was er am Handy besprach. Jetzt aber zum bereits erwähnten Schau-, entschuldigung, ich meinte natürlich Beispiel.
   Ein Mann und eine Frau saßen genau auf der uns gegenüberliegenden Straßenseite an einer Brüstung am Wasser. Nach ein paar Minuten wurde die Frau von einem zweiten Mann abgeholt. Der erste Mann blieb weiter alleine sitzen. Und nachdem Manfred und ich schon zuvor einer Meinung waren, dass die beiden hierhin platziert wurden, behielt ich den Typ weiter im Auge. Wir stiegen in den Bus ein, er blieb sitzen. Unser Bus fuhr los, ich drehte mich ein letztes Mal nach hinten um und sah gerade noch, wie der Mann seine Sachen zusammenpackte und ebenfalls verschwand. Meiner Meinung nach war das eindeutig inszenierte Realität.
   Es ging weiter Richtung Hauptstadt mit einem Zwischenstopp bei einem 2001 entdeckten Wasserfall, der imposanter, weil breiter, als der am Vortag war. Wir fuhren auch wieder durch mehrere dieser abenteuerlichen nordkoreanischen Tunnels. Diese waren komplett unbeleuchtet, Menschen gingen teilweise zu Fuß durch, obwohl in manchen Tunnels gerade Platz für zwei Autos nebeneinander war. Ständig begeben sich Menschen hier in Lebensgefahr. Kam einem ein Auto entgegen, dann schaltete eines der beiden Fahrzeuge das Licht aus. Abblendlicht scheinen die nicht zu kennen. In einem dieser Tunnels tauchte plötzlich auf unserer Spur ein Koreaner auf einer Leiter auf, der die Tunnelwand reparierte und nur mit einer kleinen Taschenlampe für etwas Licht sorgte. Bei einem anderen Tunnel am Masik-Pass, wo bald ein nobles Skiressort eröffnet werden soll, benötigten wir fünf Minuten, bis wir endlich wieder (Tages-)Licht hatten.


Aus: REAL? IRREAL? SURREAL! (2013) von Christoph Huber